Wiedereinstieg mit Hindernissen
Im Jahr 1978 verabschiedete ich mich von der Welt der Programmierung mit Lochkarten. Es gab keine Codingsheets, Programmlisten, Maschinenräume mit schrankgrossen Computern mehr in meinem Leben. Ich hatte einfach genug von Zahlen, sei es nun in dezimaler, hexdezimaler oder binärer Form.
Ich bekam einen sehr interessanten Job als rechte Hand der Chefin eines Carrosserie-Betriebes und konnte alle anfallenden Arbeiten erledigen; Werbebriefe schreiben und mit Prospekten verpacken, die Buchhaltung mit der alten Buchungsmaschine führen, mit aufgeregten Kunden, die ihr Auto kaputtgefahren haben Telefongespräche führen, Automechaniker aus der Werkstätte betreuen, wenn sie ein Familienproblem hatten; ich war einfach da, damit alles im Betrieb rund lief.
Im Jahr 1981 durfte ich Mutter einer Tochter und ein Jahr später eines Sohnes werden. Ab jetzt waren meine Tage und Nächte ausgelastet mit Windeln wechseln, Schoppen abfüllen, Babybrei zubereiten und zusehen wie der Nachwuchs immer grösser wurde. Selbstverständlich gehörte das Verwöhnen meines berufstätigen Mannes und Bekochen meiner Familie dazu.
Nach 7 Jahren ohne Informatik – es war 1985 bekam ich Entzugserscheinungen. Ich wollte zurück in meinen angestammten Beruf und suchte eine Halbtagsstelle.
Also erstellte ich mir eine Liste mit Firmennamen in der Umgebung, die einen IBM-Grossrechner hatten. Eine nach der andern kontaktierte ich und bot dem jeweiligen Informatikchef meine 10-jährige Erfahrung als Programmier an. Die Antwort war bei allen gleich: „Das ist ganz unmöglich! Die Informatik hat sich in den letzten Jahren ihrer Abwesenheit total verändert; da gibt es keinen Weg, all das Neue in kurzer Zeit zu lernen und zu verstehen.“ Ich schluckte jeweils 3-mal leer und versuchte die Antwort zu verdauen. Die Chance, einen Arbeitgeber für meinen Wiedereinstieg zu finden wurde nach jedem Telefonanruf kleiner.
Jetzt war nur noch eine einzige Firma auf meiner Liste und ich wollte doch unbedingt wieder zu den Bits und Bytes. Nachdem ich mir die Antwort beim nächsten und letzen Anruf vorstellen konnte, änderte ich die Taktik. Die Stellenanzeiger waren überfüllt mit Angeboten für Informatikpersonal und vor allem wurden Junior-Programmierer gesucht. Ich meldete mich auf ein Inserat der letzten Firma meiner Liste, in dem ein Job als Junior COBOL Entwickler für IBM Grossrechner offeriert wurde. Oh Wunder ich konnte ein Bewerbungsgespräch abmachen. Ich hatte zwar keine Ahnung von der Programmiersprache COBOL, was ich aber wohlweislich nicht erwähnte; und Programmierlogik bleibt meiner Ansicht nach immer gleich. So vereinbarten wir meinen Arbeitsbeginn als Junior-Programmierer mit 50% Teilzeit auf den 1. Tag des folgenden Monats. Deshalb fragte ich, ob ich ein COBOL-Manual heim nehmen dürfe, so dass ich mich in den nächsten 14 Tagen schon ein wenig vorbereiten könne. Das wurde auch erlaubt.
Am ersten Tag an meiner neuen Arbeitsstelle erhielt ich die Aufgabenbeschreibung für ein Programm. Es sollte neue Kundenadressen in den bestehenden Datenbestand entgegennehmen und einfügen, dazu doppelte Adressen verhindern und aussortieren. Der Aufwand sollte nicht mehr als 10 Arbeitstage benötigen. Für mich war das eine so einfache Sache, in meinem Kopf sah ich sofort den ganzen Programmablauf. Nach 2 halben Tagen hatte ich meine Codingsheets mit meinem ersten COBOL Programm ausgefüllt.
Und jetzt kam die ach so schrecklich andere Welt der Informatik auf mich zu! Statt die Programmzeilen auf einer Lochkarte zu erfassen, hatte ich ein sogenanntes dummes Terminal, an dem die COBOL Befehle eingegeben werden sollten. Ich sass mit einem beinahe lauffähigen Programm da und wusste nicht, wie das Terminal zu bedienen war, um die Programm-Anweisungen in den Computer zu „füttern“. Einzig und allein wusste ich, dass es einen Direktzugang zum Produktions-System IBM 360 hatte. Deshalb wollte ich aus lauter Angst nicht irgendeine unbekannte Taste bedienen, es könnte ja die falsche sein.
Niemand von den ca. 12 Programmierern hatte wirklich Zeit mich zu instruieren, und der Chef, der mich eingestellt hatte war sowieso sehr beschäftigt. Meine Kollegen wurden informiert, dass ich als Junior, – für sie bedeutete das eine total unwissende Person – zu ihnen gestossen bin; deshalb konnte ich nach ihrem Verständnis ja auch warten bis jemand eine freie Minute hatte. Ich war sowieso nur halbtags am arbeiten.
So war die erste Arbeitswoche sehr unausgewogen: die ersten zwei Nachmittage schrieb ich schnell die Codezeilen auf die Blätter und die andern drei Nachmittage versuchte ich verzweifelt, das Source-Programm mit Hilfe des Terminals einzugeben. Es war wirklich eine ganz andere Welt, denn vorher kannte ich Schreibmaschine und Locher. Das Typen der Buchstaben wäre deshalb überhaupt kein Problem gewesen. Aber bitte sehr, welche Taste benützt man statt „Wagenrücklauf“ (Schreibmaschine) oder „Feed“ (Locher)? So musste ich immer wieder auf Hilfe warten.
Endlich war der Quellcode geladen und die Befehle für ‚Compile‘ (Umwandeln) und ‚Load‘ (Laden) auch bekannt. Der Test konnte nun beginnen. Neu für mich war auch, dass wir einen sogenannten Closed-Shop hatten, ich konnte nicht mehr selber den Rechner im Computerraum bedienen, sondern sass während der ganzen Arbeitszeit vor dem Bildschirm. Zum Erstaunen aller Kollegen funktionierte das Programm schon nach dem ersten Testdurchlauf recht gut. Die wenigen Schönheitsfehler waren schnell korrigiert, denn jetzt hatte ich auch mein Eingabeterminal voll im Griff. Mein erstes Programm als Wiedereinsteigerin konnte bereits nach der Hälfte der vorgegebenen Zeit der Produktion übergeben werden.
Sei es in der EDV der Steinzeit oder in der Informatik der Gegenwart,
gekocht wird immer noch mit Bits und Bytes!