Aber nur eine Frau kann die Lücke füllen
Für die IBM war 1964 das Jahr der grossen Umschulung vom System 1401 auf das System 360. Die Grosskunden, also vor allem Banken und Versicherungen wollten so schnell wie möglich diesen vielversprechenden Grossrechner erwerben. Auch die IBM Schweiz musste so rasch als möglich ein System 360 für ihre eigenen Bedürfnisse in Betrieb nehmen.
Aber ohne entsprechend ausgebildete Informatiker konnte dies nicht zum Erfolg führen. Also wurde für die eigenen Programmierer ein Intensivkurs angeboten. Und wenn IBM ein Ziel verfolgte, dann auch richtig und mit allen Mitteln. Für etwa 40 deutschsprachige Programmierer fanden 3 Mal zweiwöchige Seminare in Luxushotels der Schweiz statt. Ich weiss noch sehr genau, der erste Kurs fand in der Hostellerie Rigi statt; möglichst weit weg von Familie und Büro. Handy gab’s noch nicht, also war die einzige Kommunikationsmöglichkeit via Festnetz-Telefon. Allerdings war dies während der Kurszeit von 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr und 13:00 Uhr bis 19:00 verboten. Nach dem Nachtessen ab 20:00 Uhr mussten wir noch Hausaufgaben lösen und das war nicht selten bis beinahe Mitternacht. Jetzt hiess es einfach nur „Lernen, lernen, lernen und immer mehr lernen“. Die Seminareinheiten wurden vor allem als Frontalunterricht durch einen speziell in Amerika ausgebildeten System-Engeneer dargeboten. Muss ich noch erwähnen, dass an der Weiterbildung nur Männer teilnahmen und eben ich als junge Frau. Da ich schon immer gerne Neues lernte, war das für mich eine ganz tolle Zeit. In den total 6 Wochen Seminarzeit wurden wir eine grosse Gemeinschaft von wissbegierigen Informatikern und konnten nebenher noch viele Erfahrungen aus der 1401er Zeit austauschen. Das Fräulein, das in der ersten Woche noch ein wenig belächelt und als exotisches Element angesehen wurde, durfte immer mehr ein akzeptierter Teil in der grossen Gesellschaft werden.
Jetzt waren die IBM-Informatiker also auf das neue System vorbereitet und konnten wieder ihre Dienstleistungen erbringen.
Nun bestand aber das Bedürfnis, dass auch die Grosskunden ihr eigenes Personal über das System 360 informieren wollten; also bot die IBM Schweiz einen Kurs für Kaderleute von Banken und Versicherungen an. Nach meinem Wissensstand war damals nur ein einziger Instruktor für die Programmierung der IBM 360 in der Schweiz zuständig, nämlich die Person, die auch uns im Intensiv-Seminar alles beigebracht hatte. Während des Kurses für Kunden fiel nun der Instruktor wegen Krankheit ganz plötzlich aus. Jetzt wurde dringend ein deutschsprachiger Informatiker gesucht, der auch das neuerworbene Wissen weitergeben könnte. Auf jeden Fall sagte mein Chef kurz vor der Mittagspause, dass der Instruktor während des Kurses erkrankt sei.
Dieser Instrukter habe sich an mich erinnert und glaube, dass ich die geeignete Person sei, seinen Kurs weiter zu führen. Der Tagesplan des einwöchigen Assembler-Programmierkurses und seine vorbereiteten Unterlagen könne ich im Kursraum des Ausbildungszentrums in Zürich-Altstetten finden. Der Einsatz sei am Nachmittag um 13:30 Uhr.
Aber hoppla! jetzt musste alles schnell gehen, denn irgend etwas Kleines sollte schon noch in meinen Magen; dann ab mit dem Taxi nach Altstetten, Kurslokal suchen, Unterlagen durchsehen, einen Hellraumprojektor das erste Mal in meinem Leben ausprobieren, den Flipchartständer mit vielen schon bekritzelten und noch mehr leeren Blättern auf meine Höhe positionieren; und dann kurze Pause, um zu versuchen, die weichen Knie zu festigen und das Herzklopfen nicht zu beachten.
Ab 13:15 Uhr kamen die ersten Kursteilnehmer in den Raum geschlendert; alles Männer im Business-Anzug mit Krawatte gekleidet, alle mit sehr seriösem Blick. Sie setzten sich an die Plätze. Zum Glück war es üblich, ein grosses Namenschild vor sich zu haben, so wusste ich mit wem ich es zu tun hatte. Da waren Namen wie „A.B, Direktor der Bank zz“ oder „C.D. Projektleiter der Versicherung yy“; das machte mir riesigen Eindruck. Um 13:30 stand ich also vor etwa 25 Männern, die erwartungsvoll an ihren Tischen sassen. Ich erklärte ihnen kurz die Situation vom fliegenden Wechsel der Kursleitung. Staunende Blicke und raunendes Getuschel – wahrscheinlich über das doch so junge Ding da vorne, denn ich war die weitaus jüngste Person im Raum!
Und dann legte ich los. Ich erklärte Fachwörter, skizzierte Abläufe auf das Flipchartpapier und hatte eine grosse Freude am Hellraumprojektor; da konnte man mit bunten Stiften drauflos malen und mit einem Dreh alles wieder wegwischen. Die Kursteilnehmer waren sehr aufmerksam und jedermann der uns beobachtet hätte, wäre überzeugt gewesen, dass ich noch nie etwas anderes gemacht hätte als Programmierkurse zu geben.
Wieder einmal eine Situation
wo ich mich als Frau besonders beweisen musste.