Eine junge Frau behauptet sich in der Männerwelt
Ein Jahr nach dem Eintritt in die IBM, also im Sommer 1964 wurde ich bereits zum sog. Analyst befördert.
Die meisten Firmen hatten damals immer noch keine eigene Computeranlage und liessen deshalb ihre Auswertungen in einem Service-Büro machen. Für das Zusammenstellen der Kundenwünsche, also Art und Aussehen der Liste, Berechnungen, Datenmenge usw. war der Analyst zuständig. Der musste mit dem Verantwortlichen des Kundenbetriebes die Situation bei einem Besuch vor Ort besprechen, damit nachher die Anzahl Inputkarten, benötigte CPU-Zeit, Papiermenge für die Auswertung und vieles mehr berechnet werden konnten. Diese Zahlen waren wichtig um den Verkaufspreis für das Erstellen des Programms und vor allem denjenigen für die tägliche, wöchentliche, monatliche oder jährlich Durchführung des Auftrages zu bestimmen.
Die Raum füllende 1401 Computeranlage war enorm teuer und jede Millisekunde hatte seinen Preis. Deshalb gab es in unserm Büro Tabellen mit den Angaben über benötigte CPU-Zeiten fürs Lesen einer Lochkarte, für Addition, Gruppenbruch, Printerzeile, Skip auf neues Blatt usw.
- Die Lesegeschwindigkeit für Lochkarte betrug z.B. mehr als 800 Stück pro Minute; die Karten wurden über die Einfüllschiene mit Platz für max 3000 Karten dem System zugeführt, wir sagten damals „gefüttert“.
- Der Drucker konnte 600 Text-Zeilen pro Minute schreiben und einen Vorschub (Skip) über mehr als 75 Inches Leerzeilen pro Sekunde (190 cm/s) ausführen.
Mit solchen Tabellen wie unten angezeigt mussten wir uns rumschlagen und ganz genaue Berechnungen das sogenannte „Estimating“ machen; es war aber nicht so meine Lieblingsarbeit!
Nun wurde mir ein Neukunde zugeteilt, damit ich die Analyse zu einer monatlichen Lohnabrechnung für seinen Betrieb durchführe.
Gut vorbereitet mit den Vorgaben des Aussendienst-Mitarbeiters, der jeweils den ersten Kontakt mit den potentiellen Kunden knüpfte, sowie meinen eigenen benötigten Unterlagen traf ich zum abgemachten Zeitpunkt den Kunden.
Nach dem Eintreten in den Besprechungsraum wollte er die Türe noch nicht schliessen und blickte suchend zurück in den langen Gang. Er schaute mich besorgt an und fragte mich: „Kommt ihr Chef nicht? Ich sollte doch mit ihm zusammen die Angaben zur Lohnabrechnung durchgehen!“ Meine Antwort war darauf: „ICH werde das machen „. Da bemerkte er kühl: „Sind sie denn ganz allein gekommen; ich habe gedacht, dass sie die Sekretärin sind.“ Auch er konnte sich nicht vorstellen, dass eine Frau fähig sei, so komplexe Analysen wie eine Lohnabrechnung für mehr als Hundert Arbeiter, Angestellte und leitende Personen zu erstellen.
Solche Situationen erlebte ich immer wieder in meiner ganzen Informatikzeit.
War das nun eine Blamage für mich
– oder die Frauen generell – oder für den Gesprächspartner?