Aus der Zeit als obiger Satz überhaupt nicht diskriminierend galt
Im Frühjahr 1963 schloss ich meine Schulzeit mit der Handelsmatur ab. Nachher musste ich unbedingt einen Job finden. Leider hatte ich keine Ahnung welchen Beruf ich wählen sollte. Sicher war ich mir nur, dass ich nicht Sekretärin sein wollte, so wie die meisten Frauen in der damaligen Zeit.
Mein Bruder durfte Mathematik studieren. Er erzählte mir von einem Computer, der in der Uni steht und mit der Programmiersprache FORTRAN gesteuert werde; und dass eine Firma IBM dahinter stecke. Er glaubte, dass diese Technologie, die von Amerika nach Europa kommt, sicher eine grosse Zukunft habe. Nach Konsultation des Telefonbuches fand ich heraus, dass die IBM ein Büro in Basel hat und zwar relativ nahe von meinem Wohnort. Also zögerte ich nicht lange und konnte tatsächlich einen Vorstellugstermin vereinbaren.
Beim Gespräch gab es folgenden kurzen Dialog zwischen Abteilungsleiter (AL) und mir (MSig)
AL: „Sie wollen also bei uns arbeiten. An welche Abteilung haben sie denn gedacht?“
MSig: „Ich würde gerne programmieren.“
AL: „SIE wollen programmieren? Sie als Frau?!“
MSig: „Ja schon; können das die Frauen denn nicht?“
AL: „Nein das geht nicht, denn Frauen können nicht logisch denken!“
MSig: „Ich weiss nicht was logisch denken heisst, aber ich weiss, dass meine Lieblingsfächer Mathematik, Chemie und Physik waren.“
AL (nach sehr langem Überlegen): „Na also, warten sie mal“
Er verliess den Raum und kam nach kurzer Zeit mit einer Broschüre zurück. Es waren 8 A4-Seiten mit vielen bunten Formen und Zeichen. Man musste einfach am richtigen Ort ein Kreuz machen. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Ich solle doch versuchen die Aufgaben soweit es geht zu lösen. Dann war ich alleine im grossen Konferenzzimmer.
Später erfuhr ich, dass dies der berühmte IBM-Intelligenz-Test war, der damals erst in Amerika benützt wurde.
Das war doch so etwas von toll, genau das Richtige für mich; ich liebte Farben, wenig Worte sowie knifflige Aufgaben. Die Kreuze auf den Multiple-Choice-Blättern waren rasch gemacht und dann wartete ich mit Herzklopfen.
Nach ungefähr einer Stunde kam AL wieder zu mir und fragte mich wie weit ich denn gekommen sei. Ich murmelte, dass ich schon seit einiger Zeit fertig wäre; AL nahm die Aufgabenblätter nach draussen und liess mich kurz warten. Ich stellte mir vor, dass er für die Korrektur der Aufgabenblätter einen Antwort-Raster benutze und das Ergebnis sofort sichtbar sei. Es scheint, dass es sehr zufriedenstellend war, denn nach 3 Minuten kam er wieder herein und sagte nichts anderes als „Wann können sie bei uns mit der Arbeit beginnen?“. So erhielt ich einen Arbeitsvertrag bei der IBM per 1. Mai 1963. Meines Wissens gab es noch lange Zeit keine andere Frau, die als Programmierer/Analytiker oder System-Engineer in der Schweiz tätig war.
Allerdings gab es vor dem Abschluss des Arbeitsvertrages noch eine kleine Hürde zu überwinden. Für die Informatiker gab es eine Kleidervorschrift (Dresscode) wie man zur Arbeit zu erscheinen hatte. Vorgeschrieben war dunkler Anzug, weisses Hemd und eine nicht allzu bunte Krawatte; dies auch für Techniker, die grosse Maschinen auseinander nehmen mussten und vielmals auf dem Boden arbeiteten. In der Schweiz gab es nur für Männer eine Vorschrift, da ja keine Frauen als Informatiker angestellt waren. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Verantwortlichen im Hauptsitz Zürich wurde folgendes vereinbart: dunkler Jupe, weisse oder ganz helle unifarbene Bluse, dazu ein passender Blazer und selbstverständlich elegante Schuhe aber ohne Bleistiftabsatz. Somit war auch das geregelt und alles schön in Ordnung.
Hier noch ein paar Müsterchen von Reaktionen auf meinen Beruf. Sie sollen aufzeigen, wie damals die Schweiz noch wirklich im Steinzeitalter der Informatik war.
Bei der ersten Klassenzusammenkunft erzählte jedermann von seiner Tätigkeit; die meisten machten ein Studium an der Uni. Als ich dann sagte, dass ich Programmierer sei, wurden erstaunte Ausrufe laut: „Aha, du bist beim Radio!“ oder „Oh! du darfst das Programm mit gestalten“ usw. Nach meiner Korrektur, dass mein Arbeitgeber IBM heisse, kamen Bemerkungen wie: „Das sind doch jene, die Strümpfe und Unterwäsche verkaufen“. Die Warenhauskette ABM eröffnete damals gerade in Basel zum ersten Mal eine Filiale.
Meine Erklärungen über Lochkarten, Tabelliermaschinen, Computer und solche komplexen Sachen wurden nicht wirklich verstanden.
Es war einfach noch nicht die Zeit
für eine Frau in der typischen Männerwelt!